Kleine und mittlere Unternehmen machen über 99 Prozent aller Firmen in Deutschland aus. Sie stellen einen Großteil der Arbeitsplätze und tragen wesentlich zum Export bei. Trotzdem zeigt sich gerade in diesem Sektor beim Thema Energiewende häufig eine zögerliche Haltung.
Dabei bietet insbesondere grüner Wasserstoff zahlreiche praxisnahe Einsatzmöglichkeiten für kleine und mittlere Unternehmen – von der Prozesswärme über die Stromspeicherung bis hin zur Mobilität. Um dieses Potenzial besser zu nutzen, bündelt die Thüga AG, ein Verbund aus rund 100 kommunalen Energie- und Wasserversorgern in Deutschland, ihre Wasserstoffaktivitäten und treibt sie bundesweit voran. Grundlage dafür ist unter anderem ein Gasnetz von mehr als 80.000 Kilometern Länge, das schrittweise für Wasserstoffanwendungen erschlossen werden soll.
„Viele unserer Kunden blicken mit Unsicherheit in die Zukunft, wenn es um eine wirtschaftlich tragfähige Energieversorgung geht. Genau hier sehen wir grünen Wasserstoff als Lösung – nicht nur für die Großindustrie, sondern auch für KMUs“, sagt Béatrice Angleys, Head of Hydrogen Plattform bei der Thüga AG, im Rahmen der ees Europe 2025.
Grüner Wasserstoff eignet sich zur Speicherung und Rückverstromung überschüssiger Energie aus erneuerbaren Quellen, zur Wärmeerzeugung in wasserstofffähigen Gaskraftwerken oder durch Nutzung der Abwärme aus Elektrolyseprozessen sowie als Energieträger für industrielle Prozesswärme. Auch in der Chemieindustrie, etwa bei der Düngemittelherstellung, und in Bereichen der Mobilität, wo Elektroantriebe keine umsetzbare Lösung darstellen, kann Wasserstoff sinnvoll eingesetzt werden.
Um die Potenziale entlang der gesamten Wertschöpfungskette von der Erzeugung über die Verteilung bis hin zur konkreten Anwendung zu erschließen, setzt die Thüga AG zahlreiche Projekte um. Ein Beispiel ist das Projekt „H2Direkt“. Hier wurde mit weiteren Projektpartnern ein bestehendes Gasverteilnetz auf einen 100-prozentigen grünen Wasserstoffbetrieb umgestellt, wodurch zehn Haushalte und ein Gewerbebetrieb seit über eineinhalb Jahren störungsfrei beheizt werden. „Wir erleben oft, dass kommunale Versorger als wenig innovativ wahrgenommen werden. Doch mit unseren hier genannten Projekten beweisen wir das Gegenteil“, merkt Béatrice Angleys an.
Die Thüga AG möchte dem Mittelstand mit solchen Projekten vor allem die Nutzbarkeit und Vorteile von Wasserstoff besser vermitteln. So erhofft sie sich weniger Zurückhaltung der KMUs, die nicht nur auf den wirtschaftlichen Wettbewerbsdruck zurückzuführen ist, sondern auch auf politische Rahmenbedingungen, die Förderungen in erster Linie auf Großunternehmen ausrichten. „Grundsätzlich ist in den Unternehmen die Nachfrage nach Wasserstoff vorhanden. In einer von uns begleiteten Studie gaben zwei Drittel der befragten Industrieunternehmen an, künftig Wasserstoff nutzen zu wollen. Bei größeren Unternehmen mit einem Energieverbrauch von mehr als zehn Gigawattstunden pro Jahr waren es sogar über 80 Prozent. Die entscheidende Frage ist jedoch, wie diese Nachfrage tatsächlich bedient werden kann“, sagt Philipp Kampmann, Manager H2-Ecosystems bei der Thüga AG.
Damit rückt die Verteilung von Wasserstoff in den Fokus. Denn viele Gebiete in Deutschland werden nicht vom Kernnetz versorgt, da es auf die Industriezentren in Deutschland ausgerichtet ist. Eine aktuelle, von der Thüga AG unterstützte Studie ergab, dass rund 78 Prozent des heutigen Gasbedarfs in Deutschland in Regionen liegen, die mehr als einen Kilometer vom geplanten Wasserstoff-Kernnetz entfernt sind. Für die breite Anbindung insbesondere von KMUs sind deshalb dezentrale Verteilungsnetze notwendig. Das ist ein Bereich, in dem die Thüga AG als regionaler Versorger ins Spiel kommt.
„In einem unserer aktuellen Projekte identifizieren wir passende Kunden, die als Ausgangspunkt für lokale Wasserstoffnetze dienen können. Dafür haben wir mit dem Fraunhofer-Institut IEE das Tool „HyPotentials“ entwickelt, das auf Postleitzahlenebene Unternehmen mit hohem Wasserstoff-Potenzial identifiziert. Diesen Analyseansatz wollen wir künftig für weitere Branchen und Betriebe zugänglich machen, um echte Kooperationen mit Betrieben vor Ort einzugehen. Soweit zeigt unsere Resonanz, dass Unternehmen, die konkrete Zahlen und Perspektiven erhalten, auch die Diskussion über ihre Strategie zur Emissionsreduzierung verändern“, so Béatrice Angleys.
Um weitere Orientierung zu schaffen, hat das Unternehmen kürzlich eine Fallstudie abgeschlossen, in der es gemeinsam mit einem Glashersteller unterschiedliche Technologiepfade hinsichtlich ihrer langfristigen Wirtschaftlichkeit verglichen hat. Dabei wurde untersucht, wie sich ein Weiterbetrieb mit Erdgas, eine teilweise Elektrifizierung, eine Umstellung auf Wasserstoff sowie eine CO₂-Abscheidung, ein Verfahren, bei dem CO₂ aus Abgasen oder direkt aus der Luft abgeschieden wird, um zu verhindern, dass es in die Atmosphäre gelangt, langfristig auf die Gesamtkosten auswirken. Überraschenderweise zeigte sich, dass die Szenarien Elektrifizierung und Wasserstoff wirtschaftlich ähnlich wettbewerbsfähig sind – entgegen der ursprünglichen Annahme, dass Strom deutlich günstiger wäre.
Der Grund für die ähnliche Kostenspanne liegt in den hohen Investitionskosten, etwa durch häufigere Erneuerung der Glasformen im elektrischen Betrieb. Zwar sind die laufenden Kosten im Wasserstoffbetrieb aktuell höher und die Preisannahmen für Wasserstoff beginnen bei einem hohen Niveau, dieses soll aber in Zukunft deutlich sinken. Der Weiterbetrieb mit Erdgas und die Option CO₂-Abscheidung erscheinen auf den ersten Blick wettbewerbsfähig, jedoch stellt sich die Frage, wie lange Erdgas in Deutschland überhaupt noch verfügbar sein wird, und unter welchen Bedingungen?
„Auch wenn sich der Ausbau von grünem Wasserstoff aufgrund politischer Hürden verlangsamt, sind wir überzeugt, dass er ein tragendes Element der Energiewende in Deutschland sein kann. Deshalb bleiben wir entlang der gesamten Wertschöpfungskette aktiv, entwickeln strategisch relevante Projekte, stärken die Verbindung zwischen Verteilnetzen und Wasserstoff-Kernnetz, und bereiten unsere Kraftwerke auf eine Wasserstoffnutzung vor. Entscheidend für den Erfolg ist jedoch der enge Dialog mit unseren Kunden, um diese Transformation gemeinsam und zielgerichtet zu gestalten“, fasst Philipp Kampmann zusammen.