Experteninterview – "Die Musik spielt in Zukunft bei den Kleinanlagen"

Experteninterview – 30. November 2021

Interview mit Simon Schweda, Leiter Produktentwicklung & -Management Virtuelles Kraftwerk bei der EnBW

Mit ihrer digitalen Plattform Interconnector betreibt die EnBW ein eigenes Virtuelles Kraftwerk. Wer sich daran beteiligen kann, was das für den Einzelnen und die Energiewende bedeutet und warum die Kleinen in Zukunft eine große Rolle spielen werden, darüber sprechen wir mit Simon Schweda von der EnBW.

Simon Schweda, Leiter Produktentwicklung & Produktmanagement Virtuelles Kraftwerk bei der EnBW

Virtuelle Kraftwerke schalten kleinere, dezentrale Einheiten der Stromerzeugung zusammen. Welche Voraussetzungen muss ein Anlagenbetreiber erfüllen, um Teil eines Virtuellen Kraftwerks werden zu können? Geht das auch schon mit ganz kleinen Anlagen?

Ja, das geht! Die kleinste PV-Anlage, die bei uns angeschlossen ist, hat 5 KW Leistung, also das klassische Einfamilienhaus. Die ist jedoch ein Stück weit ein Exot. Für PV-Anlagen gibt es in Deutschland die Regelung, dass für Anlagen ab 100 kW die sogenannte Direktvermarktung verpflichtend ist. Das bedeutet alle Betreiber von PV-Anlagen, die kleiner sind und im EEG gefördert werden, können ihren Strom an den Netzbetreiber verkaufen. Ab 100 kW muss man sich selbst um den Verkauf kümmern. Dann sucht man sich zum Beispiel ein Virtuelles Kraftwerk, das den Vertrieb übernimmt. Es wird aber auch für kleinere Anlagen immer attraktiver, sich freiwillig an ein Virtuelles Kraftwerk anzuschließen und die Möglichkeit der Direktvermarktung zu nutzen.

Gibt es auch technische Voraussetzungen?

Ja, laut EEG gibt es leider die Pflicht, dass wir als Virtuelles Kraftwerk jede Anlage fernsteuern können müssen, um sie in gewissen Situationen abregeln zu können. Außerdem muss sie Echtzeit-Daten senden, damit wir immer genaue Informationen haben, wie viel Strom eine Anlage gerade ins Netz speist.

Welchen Nutzen hat ein Anlagenbetreiber davon, bei der Direktvermarktung mitzumachen?

Das kommt auf die Situation an. Wer gerade eine neue, kleinere PV-Anlage baut, bekommt in der Regel eine EEG-Förderung für 20 Jahre und damit einen fixen Einspeisetarif für jede Kilowattstunde. Wer sich trotzdem für die Direktvermarktung entscheidet, bekommt ein kleines bisschen mehr. Früher hieß das Managementprämie, das sind bei einer PV-Anlage 0,4 ct/kWh. Andererseits erheben wir ein kleines Serviceentgelt, damit wir die Anlage managen können. Dafür hat man die Möglichkeit, über einen Börsenpreistarif an hohen Börsenpreisen mitzuverdienen. Dann bekommt der Betreiber deutlich mehr als die aktuelle Einspeisevergütung. Vor allem bei größeren Anlagen ist das momentan ein Thema. Finanziell kann sich die Direktvermarktung also lohnen.
Umgekehrt aber, wenn zum Beispiel die Förderung einer Anlage ausläuft, bei einer Post-EEG-Anlage also, muss man den Strom an irgendjemand anderes verkaufen, weil ihn der Netzbetreiber normalerweise nicht mehr abnimmt. Inzwischen gibt es ein paar Sonderregeln, damit das jetzt bis 2027 funktioniert.

Bei der Direktvermarktung geht es aber meistens doch um größere Anlagen über 100 kW, oder?

Genau, aktuell ist das noch so. Wir bereiten uns aber schon heute darauf vor, dass wir es in Zukunft vermehrt mit kleinen Anlagen zu tun haben. Wenn deren Förderung ausläuft, brauchen die eine Lösung. Aktuell sind in Deutschland ungefähr 100.000 Anlagen über 100 kW, aber grob geschätzt zwei Millionen kleinere installiert. Das heißt, die Musik spielt in Zukunft bei den Kleinanlagen. Wenn ich eine große Anlage effizient und automatisiert vermarkten kann, dann ist das auch keine große Herausforderung mehr für die große Masse an Kleinanlagen. Und die brauchen wir in Zukunft für die Energiewende.

Die groß ist das Virtuelle Kraftwerk EnBW?

In Summe sind wir bei der EnBW jetzt bei gut 6 GW, was an installierter Leistung bei uns angeschlossen ist, wahrscheinlich schon ein Stück weit drüber. Dazu kommt noch die ganze Lieferseite. Wir nehmen nicht nur die grüne Energie und verkaufen sie an der Börse, sondern liefern sie zum Beispiel auch an die Ladesäulen der EnBW, an Industrie- oder Gewerbekunden. Und vor dem Hintergrund, dass wir in Deutschland vielleicht Richtung 1.000 GW regenerativen Strom wollen, dann wird unser Virtuelles Kraftwerk weiterwachsen.

Virtuelle Kraftwerke werden über Software gesteuert. Spielt dabei auch künstliche Intelligenz eine Rolle?

Ja, künstliche Intelligenz gehört dazu, also schlaue, selbstlernende Algorithmen. Hauptanwendungsfeld ist vor allen Dingen die Prognose. Wir als Virtuelles Kraftwerk, als Direktvermarkter, aber auch als Energielieferant müssen viertelstundengenau vorhersagen, wie viel unsere Kunden einspeisen oder verbrauchen. Dadurch, dass erneuerbare Energien volatil sind, ist das natürlich eine entsprechende Herausforderung.

Auf der anderen Seite müssen wir auch den Selbstverbrauch von Prosumern berücksichtigen und vorhersagen. Die künstliche Intelligenz hilft uns zum Beispiel dabei, dass wir, gerade wenn wir eine neue Anlage bekommen, eine recht kurze Einlernphase haben. Denn oft haben wir gar nicht alle Informationen zu dieser Anlage und dem Kunden dahinter. Wenn wir alles wüssten, wie groß die Anlage ist, wie sie ausgerichtet ist, welche Technologie sie nutzt, ihre Wirkungsgrade etc., dann könnten wir sehr gute Prognosen machen. Das Problem daran ist, wir wollen es möglichst leicht für den Kunden machen, sich unserem Virtuellen Kraftwerk anzuschließen. Das heißt, wir reduzieren die zu übermittelnden Informationen auf das Nötigste, mit dem Nachteil, dass wir nicht alles von Anfang an wissen. Gute selbstlernende Algorithmen können eine Anlage und ihr Verhalten schon in einer sehr kurzen Zeit einschätzen.

Was sind heute die Haupthindernisse, die dem Ausbau Virtueller Kraftwerke noch entgegenstehen?

Auf der einen Seite gibt es ein paar regulatorische Dinge, die uns logischerweise nicht so gut gefallen, etwa diese 100 kW-Grenze in der Direktvermarktung. Ich persönlich bin kein Fan davon, wenn man eine künstliche Grenze einzieht und damit sehr viele Anlagen nicht für den Markt und damit auch für innovative Lösungen öffnet. Ich würde mir wünschen, dass diese über kurz oder lang einfach fällt.

Eine andere Sache ist, dass wir regulatorisch nicht alles von den großen Anlagen auf die kleinen Anlagen übertragen, wie z.B. die Fernsteuerbarkeit. Bis heute steht im Gesetz drin, jede Anlage, die direkt vermarktet wird, muss stufenlos regelbar sein, was es technisch komplexer macht. Ich finde, eine 5 kW-Anlage muss man nicht stufenlos regeln können. Sie einfach nur an- und ausschalten zu können, wäre vollkommen ausreichend. Wenn ich zwei Millionen Anlagen an- und ausschalten kann, dann habe ich im Portfolio schon eine sehr gute stufenlose Regelbarkeit.

Als Zusammenfassung zum Schluss: Was sind für Sie die zwei Hauptvorteile, die ein Virtuelles Kraftwerk für die Energiewende bietet?

Der erste Vorteil ist, dass wir von vielen angeschlossen Anlagen die Flexibilität nutzen können, z. B. von Batteriespeichern, um etwa den Peak von Solarstrom Richtung Abend zu bringen. Je mehr erneuerbare Energien wir ausbauen, desto größer wird das Problem, dass wir zur Mittagszeit viel zu viel Solarstrom haben. Wenn wir auf der anderen Seite ein paar Batteriespeicher haben, kann man den Strom eben einspeisen und später wieder ausspeisen und damit dieses Problem der Energiewende ein Stück weit beheben. Ein Virtuelles Kraftwerk hilft dabei, dass sich darum nicht jeder selbst kümmern muss, sondern man den Strom untereinander verteilen kann.
Den zweiten großen Vorteil für die Energiewende sehe ich in der Einfachheit, in der Reduzierung der Komplexität. Wenn wir erneuerbare Energien in großer Menge installieren und ans Netz bringen wollen, die Anlagenbetreiber sich aber um die gesamte Abwicklung und das Management im Betrieb kümmern müssen, macht das ganze Thema keinen Spaß. Durch ein Virtuelles Kraftwerke funktioniert das Ganze Plug and Play für die ganzen Kunden. Damit ist der Energiewende sehr geholfen.

Wäre es nicht sinnvoll, dann irgendwann auch die ganzen Elektroautos als Speicher in Virtuelle Kraftwerke einzubinden?

Absolut. Das ist ein großes Thema und eine riesige Flexibilität. Dafür müssen aber noch ein paar Aufgaben gelöst werden, etwa, wenn es um das bidirektionale Laden geht. Aber was wir heute zum Beispiel schon tun, ist, das Laden von E-Autos einfach ein Stück weit zu flexibilisieren. Wenn ich zum Beispiel bei meinem Arbeitgeber parke, steht mein Elektroauto dort acht Stunden lang. Wenn es entsprechend schnell geladen wird, dann ist es in ein, zwei oder drei Stunden voll. Dort optimieren wir heute schon, in dem eben nicht alle Autos zeitgleich und möglichst schnell laden, sondern wir den Ladeprozess vielleicht mal für eine Viertelstunde verlangsamen und dann in die nächste Viertelstunde schieben, um netzdienlich zu sein oder auch, um Stromkosten zu reduzieren. Dadurch kann man wiederum günstigere Tarife für die Autofahrer anbieten.

Dieses Interview ist ein Auszug aus einer Folge des The smarter E Podcasts. Das vollständige Interview können Sie hier anhören.

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