Experteninterview – „Wir haben jetzt schon Fossil Parity erreicht“

Experteninterview – 08. November 2022

Im Interview mit The smarter E gibt Christopher Hebling einen Ausblick auf eine künftige Wasserstoffwirtschaft und sagt, warum eine klimaneutrale Energieversorgung ohne Wasserstoff nicht gelingen wird.

Herr Hebling, Wasserstoff ist ja schon längere Zeit im Gespräch und wurde immer wieder als Heilsbringer unserer Energieversorgung gefeiert. Was ist denn jetzt anders als vor 10, 20, 30 Jahren? Warum soll es jetzt wirklich losgehen?

Heute haben wir völlig andere Vorzeichen, was das globale Energiesystem betrifft. Es gibt viele Gründe, warum es sehr wichtig werden wird, Wasserstoff als Komponente im zukünftigen Energiesystem zu haben. Ein Grund ist, dass sich 194 Staaten der Erde verpflichtet haben, ab Mitte des Jahrhunderts nicht mehr CO2 zu emittieren als sie absorbieren. Ein weiterer Grund ist, dass Energiesouveränität, Bezahlbarkeit und Klima- und Umweltschutz nur mit Wasserstoff als Energieträger möglich sein werden.

Wir sind jetzt in ein Zeitalter gekommen, in dem ganz klar grüne Elektronen das Rückgrat der künftigen Energieversorgung sein werden, das heißt aus Photovoltaik und Wind produzierter Strom, der überall dort zum Einsatz kommt, wo er sinnvoll und vor allen Dingen zeit- und ortsgemäß auch einsetzbar ist. Trotzdem gibt es Lücken durch die Schwankungen in der Energieerzeugung mit den Jahreszeiten. Diese Lücken können aufgefüllt werden durch einen synthetisch und nachhaltig hergestellten Energieträger. Und das wird Wasserstoff sein.

Ein Kritikpunkt ist der Wirkungsgrad von grünem Wasserstoff, weil zur Herstellung von Wasserstoff viel Energie benötigt wird. Und auch bei der Umwandlung zurück in Strom geht wieder viel Energie verloren. Derzeit ist erst rund die Hälfte unseres Stroms aus erneuerbaren Quellen. Macht es dann überhaupt Sinn, jetzt schon über die Produktion von Wasserstoff aus Grünstrom zu sprechen?

Ja. Man muss wissen, dass die Stromanwendungen etwa 20 Prozent des Primärenergieverbrauchs in Deutschland ausmachen. Das ist übrigens in den meisten Ökonomien auch so. 80 Prozent der Energieanwendung, also in den Wärme-, Transport- und Industrieanwendungen werden derzeit von Molekülen wie Erdgas, Öl oder Kohle abgedeckt. Sprich wenn wir 100 Prozent Grünstrom im Netz haben, und das können wir auch erreichen in Deutschland, dafür brauchen wir noch zehn Jahre, vielleicht ein bisschen länger. Aber dann haben wir trotzdem nur ein Fünftel der Aufgabe erfüllt. Die anderen 80 Prozent sind im Moment Öl, Gas und Kohle dominiert. Und das heißt, wir müssen zunächst mal Strom in die Sektoren überführen, die elektrische Verbraucher haben. Wie zum Beispiel die Batterien in einer elektrischen, straßengebundenen Mobilität im PKW-Bereich. Im Wärmesektor sind es die Wärmepumpen. Das ist erreichbar. Vieles ist aber auch nicht erreichbar, wie aus unserer Sicht ganz klar der Güterstraßenverkehr, der eine Domäne von betankbaren Systemen ist, wie LKW oder Schiffen. Und auch der Flugverkehr gehört ganz klar dazu.

Bis wir diese Anwendungen auch noch mit Strom aus Sonne und Wind abdecken, wird es noch einmal länger dauern als nur den heutigen Stromsektor mit Grünstrom zu versorgen. Die Erzeugung von Wasserstoff aus erneuerbarem Strom wäre also noch länger nicht möglich.

Heute decken wir etwas mehr als 70 Prozent unserer Energieversorgung durch Importe ab. Und zwar von Öl, Gas und Kohle. Und wir kennen die aktuelle Problematik darum. Das heißt, es ist durchaus ein Ziel, noch stärker die Erneuerbaren auch in Deutschland auszubauen. Trotzdem kann man grob sagen, etwa die Hälfte der Energieträger in Deutschland werden auch künftig importiert werden und auch Europa wird eine Importregion von Energieträgern bleiben. Auch diese Importe können nur über Wasserstoff oder Wasserstoffderivate erfolgen. Das heißt Produkte, die aus grünem Wasserstoff und einem weiteren Molekül resultieren, wie beim Stickstoff, bei dem man Ammoniak erhält, wenn man ihn mit Wasserstoff verbindet, oder bei einer CO2 Quelle, aus der man Methanol oder längerkettige Kohlenwasserstoffmoleküle erzeugen kann. So kann man auch Ersatzstoffe für Diesel und andere Energieträger synthetisieren.

Bisher war grüner Wasserstoff viel teurer als solcher, der aus fossilen Energien hergestellt wird. Das hat sich durch die teils extreme Verteuerung von fossiler Energie in den vergangenen Monaten geändert. Wird grüner Wasserstoff also in Zukunft konkurrenzfähig werden?

Man muss wissen, die Preisbildung ist volatil. Das sehen wir im Moment. Die Megawattstunde Erdgas lag noch Anfang letzten Jahres bei 20 Dollar. Zwischenzeitlich war sie bei 340 Dollar. Jetzt ist der Preis wieder bei 100 Dollar. Das heißt, wir können eigentlich im Moment gar nicht voraussagen, wie sich der Erdgaspreis entwickeln wird. Das heißt auch, der Wasserstoffpreis aus der Dampfreformierung lässt sich im Moment gar nicht prognostizieren. Also Volatilität ist das eine. Das zweite ist, dass aus der Dampfreformierung erzeugter Wasserstoff, also eine Tonne Wasserstoff aus Erdgas produziert, zehn bis zwölf Tonnen CO2 in die Atmosphäre emittiert. Wenn dann der CO2-Preis, der im Moment bei rund 40 Dollar liegt, erstmal auf 50 oder 100 Dollar steigt, dann kann man das allein schon deswegen gar nicht mehr machen, weil es viel zu teuer ist, zehn Tonnen CO2 zu emittieren, wenn man eine Tonne Wasserstoff haben will.

Wenn wir diesen Punkt erreicht haben, dann haben wir die sogenannte Fossil Parity, also den Gleichstand von Grünen gegenüber fossilen Technologien. Und wir erwarten auf der Elektrolyseseite schon durch Skaleneffekte eine deutliche Kostenreduktion der Elektrolyseure. Der Wirkungsgrad ist jetzt schon bei über 70 Prozent. Übrigens werden auch die erneuerbaren Energien weiter günstiger werden. Wir haben jetzt in Saudi-Arabien etwa Gestehungskosten für grünen Strom aus der Photovoltaik von einem Cent pro Kilowattstunde, onshore Wind liegt etwa bei zwei Cent. Und es wird erwartet, dass nächstes Jahr die Ein-Cent-Marke sogar noch unterschritten wird in diesen Ländern. Das heißt also, wenn man genau rechnet, haben wir jetzt schon diesen Fossil-Parity-Punkt erreicht.

Wäre jetzt nicht der ideale Zeitpunkt in solchen Ländern Kapazitäten aufzubauen?

Aktuell wird in Saudi-Arabien ein Solar- und Windpark von vier Gigawatt Größe gebaut. Der wird mit einem Elektrolyseur von 2,2 Gigawatt Größe gekoppelt werden – übrigens mittels alkalischer Elektrolyse von ThyssenKrupp aus Deutschland. Und damit wird dann Wasserstoff erzeugt werden, der aber nicht als Wasserstoff exportiert wird, sondern man macht dort noch einen Folgesyntheseprozess, indem man den Stickstoff aus der Luft entnimmt und ihn mit Wasserstoff zu Ammoniak synthetisiert. Und das wiederum wird übrigens schon in gut zwei Jahren nach Rotterdam exportiert werden, Ende 2025.

Warum können wir in Deutschland und Europa den Wasserstoff nicht selbst produzieren, hier wo er gebraucht wird? Dezentral, vielleicht in kleineren Portionen und mit heimischer erneuerbarer Energie?

Wir haben in Deutschland jetzt etwa 50 Prozent Grünstrom im Stromnetz. Das ist schon eine große Leistung für Deutschland. Wir sehen aber, dass im Winter weder Wind noch Sonne für eine stabile Stromversorgung ausreichen. Auch wenn wir doppelt so große oder dreimal so große Kapazitäten in Deutschland hätten, würde es trotzdem nicht reichen. Das heißt, wir brauchen Speicher, saisonale Speicher und wir müssen jetzt schon dafür sorgen, dass die Sektoren, die nicht über Strom erreichbar sind, nachhaltige Moleküle für ihre Energieversorgung bekommen. Das heißt, das ist nichts Konkurrierendes, sondern das wird zusätzlich gebraucht. Dafür müssen in jedem Fall die Erneuerbaren so schnell wie möglich hochfahren. Also wir werden viel, viel, viel mehr Photovoltaik sehen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten auch Wind, auch Wind onshore. Aber das wird trotzdem nicht reichen.

Allerdings gibt es Deutschland auch Regionen, insbesondere im ländlichen Raum, die eigentlich jetzt schon Richtung 100 Prozent Erneuerbare gehen. Die haben dann ein paar Windanlagen und große Photovoltaikanlagen auf den Scheunen oder der Freifläche. Solche Energiekommunen brauchen neben der Biomasse einen Energieträger, den man sowohl tanken kann, für die regionale Mobilität, als auch als saisonalen Speicher einsetzen kann, um das Netz zu stabilisieren. Das heißt, in solchen Regionen werden wir bald große Elektrolyseure sehen, im Bereich 10 bis 100 Megawatt vielleicht. Aber das Schöne an der PEM-Elektrolyse ist, dass sie sehr schnell regelbar ist. Das heißt an den Netzknoten installierte PEM-Elektrolyseure können das Netz als Last stabilisieren. Man kann diese Elektrolyseure einerseits von 100 auf 200 Prozent nominale Kapazität hochziehen, als auch auf 10 Prozent runter regeln, je nachdem, ob man zu viel oder zu wenig Strom im Netz hat.

Stichwort Vereinigte Arabische Emirate: Kürzlich wurde bekannt, dass Ihr Institut an der dortigen Wasserstoff Roadmap mitarbeiten wird. Können Sie dazu schon mehr sagen?

Die bisherige Historie war nicht ganz unüblich für arabische Länder. Es wird lange verhandelt und wenn man zum Abschluss gekommen ist, werden am nächsten Tag die Ergebnisse erwartet. In dieser Übergangsphase sind wir. Der Zuschlag wurde vor etwa Mitte Oktober erteilt. Kanzler Scholz war ja in der Region und konnte die Zusammenarbeit da auch mit verkünden.

Wir hören immer wieder, dass Deutschland Leitmarkt und Leitanbieter für grüne Wasserstofftechnologien werden soll. Was ist damit genau gemeint?

Also ein Leitmarkt ist erstmal definiert durch eine frühe Nachfrage, durch eine heimische Industrieansiedlung und auch durch Leitanbieter. Das sind diejenigen, die jetzt schon Produkte anbieten, die künftig in großen Mengen entweder importiert oder exportiert werden. Ich glaube schon, dass wir in Deutschland auch innerhalb Europas eine besondere Stellung haben durch unsere frühe Energiepolitik. Die Energiewende ist schon ein bisschen eine deutsche Erfindung. Da können wir schon auch stolz darauf sein, weil wir über das Erneuerbare-Energien-Gesetz wirklich Milliardenbeträge in diese Technologien gesteckt haben. Rund 300 bis 400 Milliarden Euro in den letzten 20 Jahren. Und Deutschland versucht eben jetzt schon Leitmarkt auch für Wasserstofftechnologien zu werden.

Wie sieht das konkret aus?

Einerseits haben wir eine fantastische Industrie, die auf all diese benötigten Technologien auch einzahlt. Für Elektrolyseure haben wir exzellente Voraussetzungen, auch für Brennstoffzellentechnologien, aber auch für die Abnehmer, also die ganze Stahlindustrie, ThyssenKrupp, Salzgitter und andere. Auch die BASF ist an großen Mengen Wasserstoff interessiert oder benötigt sie auch, um ihre eigenen CO2 Ziele zu erreichen. Die Voraussetzungen für Deutschland als Leitmarkt sind sehr gut und auch die Politik hat das Thema Wasserstoff als eine der Schlüsseltechnologien für die Energiesystem-Transformation durchaus auf dem Schirm.

Ein gutes Beispiel dafür ist die vom Bund initiierte Stiftung H2Global, deren Ziel es ist, die schon genannte Fossil Parity herzustellen. Dazu sollen über ein Doppelauktionierungssystem Angebot und Nachfrage von grünem Wasserstoff über einen Preisausgleich zusammengebracht werden. Dafür steht ein Fonds mit derzeit vier Milliarden Euro zur Verfügung. Dieses Instrument wird wahrscheinlich schon bald von der EU-Kommission für ganz Europa übernommen, um den Markt anzuheizen.

Was passiert auf europäischer Ebene? Ist ein deutscher Leitmarkt in den europäischen Binnenmarkt integriert oder stehen sich die Europäer als Konkurrenten gegenüber?

Auch die EU-Kommission hat über das Repower EU Programm die Ambitionen für grünen Wasserstoff gerade vervierfacht. Das heißt, Ende des Jahrzehnts, was jetzt noch gut sieben Jahre sind, soll der Wasserstoffmarkt in Europa auf 20 Millionen Tonnen ansteigen, wovon 10 Millionen Tonnen innerhalb Europas und 10 Millionen als Import außerhalb Europas hergestellt werden. Das ist also eine gewaltige Zahl. Und insofern sind wir da auch nicht alleine, sondern wirklich gut abgestimmt, auch mit den europäischen Partnern.

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