Experteninterview – „Wasserstoff bietet im Energienetz die höchste Flexibilität“

Experteninterview – 14. Januar 2022

Interview mit Ove Petersen, CEO bei GP Joule über 100% Erneuerbare in Deutschland

100% erneuerbare Energien in Deutschland sind machbar und zwar schnell und bezahlbar, davon ist Ove Petersen überzeugt. Der CEO bei GP Joule erläutert im Interview, welchen Anteil Wasserstoff daran hat, warum es sinnvoller sein kann, die Gasinfrastruktur zu nutzen, statt neue Stromtrassen zu bauen und, wie das Abgabensystem reformiert werden muss.


Mitte September hat GP Joule eine Informationsoffensive gestartet. In ihren eFacts heißt es unter anderem, dass in Deutschland zeitnah eine Versorgung mit 100% erneuerbaren Energien möglich ist. Wie kann das funktionieren? Und was bedeutet zeitnah?

Um uns in Deutschland vollständig mit erneuerbarem Solarstrom zu versorgen, bräuchten wir theoretisch 7% der Fläche, wenn wir nur Freiflächen-Solaranlagen bauen würden. Das entspricht ungefähr der versiegelten Fläche in Deutschland oder der Hälfte der Siedlungs-und Verkehrsfläche. Da wir aber auch die Dächer nutzen können, ist der Flächenverbrauch wesentlich kleiner, selbst wenn man noch Speicher dazu baut.

Wer heute meint, dass wir erneuerbare Energie importieren müssen, der sollte sich erst einmal auf die eigene Dachfläche konzentrieren, denn die ist eh schon versiegelt. Zudem braucht es kein großes Genehmigungsverfahren, um dort eine PV-Anlage zu errichten. Und in der Regel wird da, wo die Dächer sind, auch noch Energie verbraucht. Das heißt, ich brauche vielleicht auch viel weniger Netzausbau.

Die Flächen hätten wir also, was bedeutet dann zeitnah?

Zeitnah bedeutet, dass die Flächen eigentlich auch verfügbar sind. Wir brauchen aber auf Seiten der Genehmigungsebene eine deutlich schnellere Bearbeitung und in meinen Augen auch eine gewisse Privilegierung für diese Art der Technologien. Wenn Sie heute zum Beispiel als Energieversorger ein Öl- oder Gas-BHKW im Außenbereich bauen wollen, brauchen Sie dafür keine Baugenehmigung, Sie sind also privilegiert.
Und die Erneuerbaren? Da müssen Sie immer eine Flächennutzungsplanänderung machen und einen Bebauungsplan aufstellen für eine kleine Solaranlage. Hier brauchen wir eine Anpassung bei der Baugesetzgebung. Damit können wir 100% Erneuerbare bis 2030 schaffen. Wenn wir die Ausbauziele jetzt mal wirklich nach oben schrauben, größer als die, die wir in den Wahlversprechungen gehört haben, werden wir tatsächlich jedes Jahr an die 20–30 GW Solar bauen können. Zusammen mit der Windenergie sind das die Säulen, die wir brauchen, um dann auch über Sektorkopplung, E-Mobilität und Power-to-Gas zu reden.

Die Energie muss auch verteilt werden. Dabei spielt laut GP Joule Dezentralität eine große Rolle. Wie könnten die Netze in Zukunft aussehen?

Es geht immer um die dezentralen Netze, aber insbesondere natürlich um die dezentrale Energieerzeugung. Ein kleines Beispiel: Wenn ich in Nordfriesland eine Windkraftanlage baue, dann kostet die fast genauso viel wie eine in Bayern, nur dass die in Bayern ein bisschen schlechtere Winderträge hätte. Dafür spare ich mir aber die Stromtrasse von Nord- nach Süddeutschland und die ist das, was richtig viel Geld kostet. Darum sollte man darüber nachdenken, auch im Süden Windenergie auszubauen oder eben generell Solarenergie dezentral auszubauen. Denn damit sparen wir uns Netzausbaukosten und können es schaffen, dass die Strompreise bzw. die Netzentgelte nicht weiter in die Höhe steigen.

Wenn man sich die Entwicklung des SuedLink anschaut, die ja schon über zehn Jahre läuft, dann reden wir gerade mal über eine 4 GW-Leitung. Das ist im Vergleich zu den Ausbauzielen, die wir haben, gar nichts. Deswegen werben wir dafür, auch die Gasinfrastruktur mit zu nutzen.

In dem wir den erneuerbaren Strom zur Gaserzeugung nutzen?

Genau. Bislang sind 80% unseres Energiebedarfs auf einer Molekülbasis und nicht auf einer Elektronenbasis abgestellt. Wir werden natürlich mit der Elektromobilität und Wärmepumpen einen ganz großen Teil mit Strom abdecken können. Aber gut 60% des Energiebedarfs, der auch in die Industrie oder in den Schwerlastverkehr geht, werden wir weiter auf molekularer Basis bedienen müssen. Hier spielt Wasserstoff eine ganz große Rolle. Er überbrückt die Dunkelflaute und dekarbonisiert die Sektoren, die wir mit einer reinen Elektronenversorgung nicht erreichen können. Außerdem bietet er im gesamten Energienetz die höchste Flexibilität. Mit Wasserstoff kann zeit- und leistungsungebunden Energie zur Verfügung stellen, was bei einer direkten Versorgung mit Strom ohne Speicher nie geht.

Sie haben davon gesprochen, die Gasinfrastruktur zu nutzen. Würde es nicht viel zu lang dauern, die Leitungen entsprechend umzurüsten?

Nein, die Erdgasnetze können tatsächlich schnell auf Wasserstoff umgerüstet werden. Zusätzlich gibt es eine Initiative in Deutschland, die den Bau neuer Wasserstoffleitungen vorsieht und plant. Tatsächlich wird eine Wasserstoffleitung oder eine Gasleitung in Deutschland viel schneller geplant und gebaut als irgendeine Stromleitung.

Um noch einmal das Beispiel SuedLink zu nennen: Da baut man für eine 4 GW-Trasse im übertragenen Sinne eine zweite Autobahn A7 durch Deutschland. Das ist ein enormer Eingriff. Eine Erdgas-Pipeline hat ungefähr das zehnfache an Leistung, nämlich 45 GW. Wenn wir bis 2030 wirklich signifikante Fortschritte in Sachen CO2-Einsparung erreichen wollen, müssen wir schnell sein. Mit der Nutzung der vorhandenen Infrastruktur gewinnen wir Zeit.

Wie viel Elektrolyse-Leistung brauchen wir für eine sichere Versorgung?

Es gibt verschiedene Studien, die besagen, dass wir so um die 80 GW Wasserstoff-Erzeugungsanlagen in Deutschland brauchen, um den Bedarf in der Industrie, für den Schwerlastverkehr und im Wärmesektor decken und die eine oder andere Dunkelflaute überbrücken zu können.

Ein Hauptargument in der Wasserstoff-Diskussion ist der vermeintlich schlechte Wirkungsgrad. Bei Ihrem eFarm-Projekt in Nordfriesland, dem größten deutschen Wasserstoffmobilitätsprojekt, erreicht die Elektrolyse einen Wirkungsgrad von über 95%. Wie kann ich mir das vorstellen?

Mit unseren eFacts versuchen wir auch mit den Vorurteilen aufzuräumen, dass die Herstellung von Wasserstoff wahnsinnig ineffizient ist. Die Energie geht bei der Elektrolyse ja nicht verloren, 75% des Inputs gehen in den Wasserstoff, 25% werden zu Abwärme, die wir auskoppeln. Diese Niedertemperaturwärme mit etwa 60–70 Grad kann man in ein Nahwärmenetz einspeisen. Das heißt, ich bin tatsächlich bei über 95% Wirkungsgrad.

In ihren eFacts sprechen Sie auch das Netzentgeltsystem an. Was muss sich hier ändern, um Erneuerbare besser integrieren zu können?

In der Vergangenheit wurden Wind- und Solaranlagen abgeregelt, sobald zu viel erneuerbarer Strom produziert wurde. Das ist nicht wirklich smart. Bis heute gibt es keine Incentives dafür, dass die, die viel Strom verbrauchen, ihn dann verbrauchen, wenn der Wind weht und die Sonne scheint. Stattdessen bezahlen diejenigen, die an einer Abnahmestelle mindestens 7.000 Jahres-Volllaststunden Strom aus dem Netz entnehmen und das mit einem Stromverbrauch von mehr als 10 GWh im Jahr, keine Netzentgelte. Diese Regelung kommt noch aus der alten fossilen Welt. Damals war sie richtig und gut, heute aber nicht mehr.

Wir brauchen jetzt flexible Abnehmer und dafür eine gewisse Digitalisierung im Netz, um endlich zu wissen, was unsere Letztstromverbraucher an Strom abnehmen. Das wird heute noch über Standardlastprofile gerechnet, sprich, bei einem normalen Einfamilienhaushalt weiß der Energieversorger gar nicht, wie viel Strom der wirklich verbraucht. Ungefähr 67% aller Stromanschlüsse werden heute noch nach dem Standardlastprofil abgerechnet. Das ist mittelalterlich. Statt den Verbrauch digital abzulesen, schätzt man ihn nur.

Die Verhinderung des weiteren Klimawandels soll sozial verträglich sein, das heißt, der Strom soll erschwinglich bleiben. Ist das ihn Ihren Konzepten berücksichtigt? Oder wird der Strom durch den Ausbau der Netze jetzt immer teurer?

Nein, ich glaube tatsächlich, dass der Strom perspektivisch immer günstiger wird, sprich die reine Stromherstellung. Jetzt müssen wir eben sehen, dass auch die Infrastruktur günstig wird. Der größte Teil der Stromabrechnung entfällt auf Nebenkosten, wie der EEG-Umlage, Netzentgelte, Stromsteuer oder KWK-Umlage.
Um die verschiedenen Sektoren miteinander zu verbinden, müssen wir es schaffen, dass auch die Kilowattstunde Wasserstoff oder die Kilowattstunde Wärmepumpenstrom genau die gleichen Nebenkosten hat wie die, die ich als Strom vielleicht für meine Beleuchtung nutze. Dafür brauchen wir schnellstmöglich eine Reform der verschiedenen Abgaben und Umlagen für alle Energiebereiche, um eine gewisse Homogenisierung hinzubekommen. Damit wird es sich von alleine ergeben, dass die eigentlichen Stromkosten nicht steigen, sondern eher sinken werden, denn wer die Nebenkosten im Gasbereich kennt, der weiß, dass die deutlich geringer sind. Und auf Gas bzw. Wärme entfällt immer noch der größte Teil unseres Gesamtenergiebedarfs.

Dieses Interview ist ein Auszug aus einer Folge des The smarter E Podcasts. Das vollständige Interview können Sie hier anhören.

GP JOULE ist Aussteller der ees Europe vom 11.–13 Mai 2022.

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