Batterie-Systemlandschaft für die Industrie

Experteninterviews – Dienstag, 01 Juli , 2021

Michael Schnakenberg, CEO von Commeo GmbH

Die niedersächsische Commeo GmbH wurde für ihr Baukastensystem für Industriebetriebe zum Finalisten gewählt. Kunden können aus Pouch- und Rundzellen mit vier verschiedenen chemischen Zusammensetzungen wählen. Commeo-Gründer und –Geschäftsführer Michael Schnakenberg erläutert, weshalb 400 Varianten sinnvoll sind und wo in der Speicherbranche neu gedacht werden sollte.

Sie haben sich nicht mit einem einzelnen Produkt für den ees Award beworben, sondern gleich mit einer ganzen „Systemlandschaft“. Was verbirgt sich dahinter?

Es wäre zu kurz gegriffen, die Lösungen, die Commeo bietet, auf einzelne Produkte zu reduzieren. Denn die Kunden- und praxisorientierte Ausrichtung unserer Systeme erfordert eine zu 100 Prozent individuelle Beschaffenheit der Batteriesysteme für den einzelnen Anwendungsbereich. Unsere Systemlandschaft, wie wir sie gerne nennen, deckt sämtliche Einsatzmöglichkeiten in der Industrieproduktion ab, die sich sinnvoll mit einem Lithium-Ionen-Speicher optimieren lassen. Zugleich ist die industrielle Umgebung mit all ihren Normen und Standards die Königsdisziplin in Sachen stationärer Batteriespeichersysteme.

Wir haben es mit unserer Systemlandschaft geschafft, das maximale Sicherheitsbedürfnis der Industrie mit deren höchsten Anforderungen zu koppeln. Und das Ergebnis ist eindeutig: Wir können uns punktuell mit minimalster Infrastruktur jedem Bedarf anpassen. Das wird bei der Anschaffung herkömmlicher Speichersysteme leider oft unterschätzt.

In Ihrem Baukasten befinden sich Rundzellen mit zwei chemischen Zusammensetzungen, von denen bis zu 140 zusammengeschaltet werden können. In diesem Jahr sind Pouch-Zellen dazu gekommen, wiederum mit zwei Zellchemie-Varianten. Bis zu 28 Pouches können im Block verschaltet werden. Warum haben Sie die Pouch-Zellen dazu genommen? Was zeichnet Ihre Zell-Optionen aus?

Grundsätzlich bieten wir jedes Modul immer in einer so genannten „Power“- und einer „Energie“-Variante an. Das gilt somit für die Rundzellen- wie für die Pouchzellenblöcke. Die Pouchzelle ist dabei die eigentliche Urform. Sie ist zwar das am komplexesten zu verbauende Zellformat, liefert bei richtiger Handhabung aber das beste Ergebnis. Aufgrund der flachen Bauform lassen sich mit dem richtigen Know-how etwa die bestmöglichen thermischen Bedingungen erzielen. Und gerade das ist für die Lebensdauer einer Lithium-Ionen-Zelle entscheidend.

Hinzu kommt, dass unsere Pouch-Zelle auf NMC-Basis mit bis zu 10.000 Zyklen eine deutlich höhere Zyklenfestigkeit besitzt als andere Formate. Mit unserem Entwicklungspartner XALT haben wir es erreicht, die höchstmögliche Energiedichte in unseren Modulen zu erzeugen und dabei gleichzeitig die höchsten Anforderungen an die funktionale Sicherheit zu erfüllen. Alle unsere Module, ob mit Rundzelle oder Pouchzelle, erreichen dabei einen ‚Performance Level d‘. Außerdem verhindern wir bei unseren Pouch-Modulen durch einen integrierten Flammenfilter im schlimmsten Havariefall auch noch das etwaige Ausbreiten eines Brandes auf benachbarte Module oder Schränke.

Ihr Ziel klingt ambitioniert: Sie wollen das „flexibelste Lithium-Ionen Batteriesystem entwickeln, das es auf dem Markt gibt“. Dafür haben Sie „alte Denkmuster über Bord geworfen und neue Ansätze verfolgt.“ Welche Denkmuster sind Ihrer Meinung nach obsolet und wie sieht Ihr Ansatz aus?

Ein aus unserer Sicht obsoletes Denkmuster ist die vielzitierte eierlegende Wollmilchsau. Ein einzelnes, perfekt passendes System für alle Anwendungsfälle in allen Unternehmen kann es nicht geben. Es ist so wie beim Maßanzug und der Konfektionsware: Die kostengetriebene Verwendung von Großserien-Komponenten ohne Anpassungsmöglichkeit führt nicht zum erstrebten Ziel. Eine einzige Zellchemie ist daher nie die Lösung aller Probleme. Denn jede Zellchemie hat ihren ganz eigenen Anwendungskorridor. Verlässt man diesen, wird es unwirtschaftlich.

Bei Heimspeichern und großen Megawatt-Speicherfarmen sieht es anders aus. Aufgrund der niedrigen technischen Ansprüche haben sich dabei relativ schnell kostengünstige Standardisierungen gebildet. Industrielle und gewerbliche Anwendungen hingegen basieren im Wesentlichen auf speziellem Projektgeschäft und stellen daher per se höhere Anforderung an die technische Umsetzung dar.

Unser Ansatz ist vielmehr der, Entwicklung, Produktion, individuelle Beratung und Service von Anfang bis Ende aus einer Hand zu bieten. Darüber hinaus gewährt unser Rücknahme-Programm einen geschlossenen Wertschöpfungskreis, Klimafreundlichkeit und Nachhaltigkeit. Und wir sind wegen unserer strikten „Made in Germany“-Philosophie in allen Belangen bei Entwicklung, Produktion und Ressourcen-Beschaffung unabhängig.

Aus Anwendersicht verfolgen wir den Ansatz, dass ein Batteriespeicher genauso normal sein sollte wie ein gewöhnlicher Schaltschrank. Durch die höchste Sicherheit für Installateure und Endanwender, durch die uneingeschränkte Kompatibilität zu industriellen Standard-Schnittstellen und der bestmöglichen Energie-Management-Funktionalität, wollen wir die Integration in bestehende Energie- und System-Infrastrukturen so einfach wie möglich machen.

Was war der Schlüsselmoment? Wann und wie sind Sie darauf gekommen, dass es etwas Neues braucht im Speichermarkt?

Ursprünglich war das Batteriesystem Teil einer Forschungsarbeit, die ich geleitet habe. Diese befasste sich mit der Reichweitenoptimierung von elektrisch betriebenen Pkw. Kern dieser Arbeit war ein Batteriewechselsystem für Autos. Damals habe ich auch einige Industriekunden betreut. Das brachte mich dazu, die Kompatibilität solcher Systeme mit der Industrie zu vergleichen.

Nach weiteren Recherchen ist mir immer wieder aufgefallen, dass es einen ganzheitlichen Systemansatz in der Industrie nicht gibt, weil sich noch niemand die Mühe gemacht hatte, eine solch komplexe Batteriesystemlandschaft zu entwerfen. Es wurden immer nur für einzelne Anwendungen einzelne spezifische Lösungen geschaffen. Das führte dazu, dass die Energiespeicherbranche nach wie vor wie ein kleines gallisches Dorf agiert.

Das Ziel von Commeo ist jedoch, jedem Installationsbetrieb einen Batteriespeicher zugänglich zu machen. Damit dies funktioniert, musste eine ganzheitliche Systemlandschaft her, die - egal für welche Anwendung auch immer - das gleiche Installationsmuster aufweist, das so einfach und sicher wie möglich ist. Das Ergebnis ist heute die ganzheitlich durchdachte Systematik der Commeo Batteriespeicher, die de facto Standards neu setzt und in der Form auf dem Batteriespeichermarkt einzigartig ist.

Ihre Kunden von KMU und aus der Industrie können sich ein Speichersystem mit 48 bis zu 800 Volt Nennspannung zusammenstellen. Leistungs- oder energiegeführt. Über 400 Varianten sind möglich. Wie können Interessenten, die vermutlich eine ganz andere Expertise haben, überhaupt entscheiden, was für sie sinnvoll ist? Kann die Vielzahl von Optionen nicht auch überfordern?

Entscheidend ist schlicht und einfach die Beratung. Jede denkbare Auslegung eines Systems ist für einen bestimmten Anwendungszweck geeignet. Manchmal ist es aber auch nötig, Systeme für verschiedene Anwendungen zu kombinieren - je nachdem, wie der Bedarf aussieht. Das geht dann über die reinen Spezifikationen der Systeme hinaus.

Ein Bedarf muss im Gespräch definiert, beziehungsweise erkannt werden, um mit den modularen Systemen einen oder mehrere „Maßanzüge“ erstellen zu können. Aus diesem Grund verfügen unsere Berater über eine unternehmenseigene Software, die die Auslegung eines Systems direkt im Kundengespräch definiert.

Commeo besitzt auch eine ganze Reihe vorkonfigurierter Standardsysteme. Durch ein Marktscreening ist es uns gelungen, zu jedem auf dem Markt befindlichen System eine Standardlösung herzuleiten, die jedoch bessere technische Eigenschaften besitzt.

Welche der Komponenten gehen auf Ihre eigene Forschung und Entwicklung zurück? Welche stellen Sie selbst her?

Als Teil vieler politischer Gremien und der Normungswelt hat Commeo den Finger immer am Puls der Zeit. Und der besonders enge Kontakt zu unseren Kunden lässt uns immer wieder neue Ansätze verfolgen und neue Lösungen entwickeln.

Dadurch, dass alle Prozesse bei uns inhouse stattfinden, können wir Feedback und neue Anforderungen jederzeit unmittelbar in die Entwicklung einfließen lassen. Im Hinblick auf Performance, Installation, Handling und Service können wir so täglich reagieren.

Zudem hat Commeo nur eine einzige Lieferantenebene. Wer uns beliefern möchte, muss schon selbst Hersteller mit speziellem Know-how sein. Nur so lassen sich gewünschte Anpassungen schnell und qualifiziert umsetzen. Wie in der Automobil-Branche sind wir Eigentümer sämtlicher Werkzeuge, mit denen die Fertigung vonstattengeht. Die verbauten Komponenten, mit Ausnahme der Batteriezelle selbst und einigen Kleinteilen, sind allesamt inhouse entwickelt. Das gilt nicht nur für die mechanische Hardware, sondern insbesondere für das Batteriemanagementsystem, die Sicherheitssteuereinheiten auf elektronischer Hardware und die Software. Commeo ist somit zu 100 Prozent unabhängig.

Hinzu kommt, dass Commeo ein eigenes Testzentrum mit Zellzyklisierern besitzt, ebenso wie Systememulatoren für elektronische Hardware und Teststände bis zu 250 kW Leistung.

Zu guter Letzt pflegt Commeo zudem viele enge Kooperationen mit anderen Marktführern wie Rittal, XALT oder Harting, um gemeinsam die bestmöglichen Komponenten für unsere Kunden zu entwickeln.

Sie heben die Kooperation mit dem Gehäuse-Hersteller Rittal hervor. Was ist so wichtig / besonders daran?

Das Schaltschranksystem VX25 ist der Inbegriff für einen industriellen Standard und daher folgerichtig Marktführer in Europa. Es bietet eine hohe Flexibilität bei der Gestaltung der Gehäuse, für In- und Outdoor-Varianten, in Sachen Klimatisierung oder sogar im Hinblick auf die hohen Anforderungen der Lebensmittelindustrie.

All dies haben wir mit der Commeo Systemlandschaft berücksichtigt. Denn wer heute auf Komponenten von Rittal vertraut, kann mit unseren Batteriesystemen nahtlos daran anknüpfen.

Schließlich sind die Erfahrungen der Installateure mit dem VX25-Schranksystem für die Planung, den Einbau und die Konfiguration der Commeo Systeme wichtig und dienen einer noch größeren Akzeptanz.

Sie werben mit einem „neuartigen und effizienten Wärmemanagement“ Ihrer Energiespeicherblöcke. Was hat es damit auf sich?

Batterien erzeugen unter Last Wärme, die abgeführt werden muss, um die volle Funktionalität zu erhalten. In anderen Systemen wird das durch integrierte oder externe Kühlsysteme, wie etwa einer Wasserkühlung erreicht. Solch eine zusätzliche Peripherie kostet Geld und wird bei der Anschaffung oft nicht mit bedacht.

Commeo Energiespeicherblöcke hingegen benötigen unter normalen klimatischen Bedingungen keine solche zusätzliche Kühlung, da Sie durch konstruktive Maßnahmen die entstehende Wärme effektiv über das Gehäuse abführen. Alle Batteriespeicher aus unserem Haus sind dauerlasterprobt – besonders diejenigen, die für eine Entladerate über 4C ausgelegt sind. Damit entfällt schlichtweg die Notwendigkeit einer Peripherie für die Kühlung der Systemkomponenten.

Von den möglichen Anwendungen wie Notstromversorgung, Peak Shaving und Ladeinfrastruktur: Welches sind die wichtigsten?

Durch den redundanten Betrieb eignen sich die Commeo Batteriesysteme hervorragend für jeden Multi-Use-Ansatz. Aber natürlich bestimmen die Einsatzanforderungen der Kunden die jeweiligen Anwendungsgebiete. Ökonomische Vorteile liegen hauptsächlich im Peak Shaving und der USV, um einerseits die Energiekosten zu senken, andererseits aber auch Kosten durch etwaige Produktionsausfälle zu vermeiden.

Und natürlich wiegen für uns die ökologischen Vorteile schwer: Es ist für uns als industrieller Hersteller sehr wichtig, unseren Beitrag zur Dekarbonisierung und damit zum aktiven Klimaschutz zu leisten. Dies wird vor allem durch den Einsatz von Energiespeichern im Hinblick auf die Ladeinfrastruktur für die E-Mobilität und in Kombination mit erneuerbaren Energien erreicht. Hier tragen Energiespeicher zur Netzstabilisation bei und kompensieren die tageszeitunabhängige Verfügbarkeit regenerativer Energieformen.

Commeo hat 2014 als Start-up im InnovationsCentrum Osnabrück begonnen und ist heute Batteriesystemhersteller mit über 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Wallenhorst bei Osnabrück. Wo sehen Sie Ihr Unternehmen in fünf Jahren? Was streben Sie langfristig an?

Noch in diesem Jahr wird Commeo neben der DACH-Region als aktiver Player auf den Märkten Italiens, Polens, Skandinaviens und Benelux auftreten. Wir planen darüber hinaus, in den kommenden zwei Jahren ganz Europa abdecken zu können und parallel dazu bereiten wir unseren Markteintritt in den USA vor.

Damit einher geht der Neubau unseres neuen Betriebsgeländes, das in mehreren Bauabschnitten entwickelt wird. Ziel ist es dabei, das europäische Zentrum für industrielle Energiespeicher entstehen zu lassen, das eine echte Fertigungskapazität im Gigawattstunden-Bereich bereitstellt und außerdem ein angrenzendes Technologiezentrum für Forschung und Entwicklung besitzt.

Ebenso stehen schon eine Vielzahl neuer Produkte in den Startlöchern, die sich nahtlos in das bestehende Portfolio einfügen und die die unterbrechungsfreie Stromversorgung stark optimieren werden. Schließlich bauen wir unsere Produktpalette in Sachen Energiemanagement noch weiter aus und treiben die direkte Vernetzung mit industriellen Anwendungen weiter voran.

Stellen Sie das erste Mal auf der Fachmesse ees / The Smarter E aus?

Wir sind bereits seit 2016 mit unserem Gemeinschaftsstand mit Rittal bei der Schwestermesse Intersolar präsent.

Warum haben Sie sich für den ees Award beworben? Nutzen Sie es schon, dass Sie Finalist sind? Was würden Sie tun, wenn Sie die Auszeichnung nach Wallenhorst holen?

Nach langen Jahren der Forschung und Entwicklung sind wir in den vergangenen zwölf Monaten an einen Punkt gekommen, an dem wir mit unseren Produkten unseren eigenen Ansprüchen gerecht geworden sind. Ein solch angesehener Preis wie der ees Award wäre neben der Reputation und den zusätzlichen Vermarktungschancen aber vor allem eine Bestätigung und Würdigung des unermüdlichen Einsatzes eines jeden einzelnen Mitarbeiters. Es würde mich daher am meisten für unser Team freuen, wenn wir die Auszeichnung tatsächlich erhalten sollten.

Nutzen wollen wir die Nominierung natürlich für unsere externe und interne Kommunikation und zum weiteren Imageaufbau. Ein Grund zum Feiern ist diese Würdigung ja allemal.

ees AWARD Finalisten 2021

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