Blick in die Batterie

Experteninterview – 07. Juli 2022

Batterien sind zwar die effizientesten Stromspeicher, aber sie sind auch recht empfindlich und sehr verschlossen. Das heißt, kleinere Defekte sind schwer zu erkennen. Um doch in die Black Box Batterie gucken zu können, hat das Unternehmen Volytica eine Analysemethode entwickelt.

Claudius Jehle ist seit 2019 CEO von volytica. Vorher war er fünf Jahre „Group Manager Energy Storage Diagnosis“ am Fraunhofer Institute for Transportation and Infrastructure Systems IVI. Die Forscher am IVI fingen schon 2012 an, Antriebsbatterien von E-Bussen zu überwachen und haben 2017 die erste „Battery Monitoring Platform“ ins Leben gerufen. 2019 wurde die heutige volytica diagnostics GmbH als Spinoff des IVI ausgegründet.

Herr Jehle, wie können Gebrauchtbatterien eingesetzt werden, um einen möglichst großen Teil der Produktionskosten wieder hereinzuholen?

Eines der interessantesten Projekte für die Nutzung von Gebrauchtbatterien läuft gerade in Hannover bei den Hannoverschen Verkehrsbetrieben, der Üstra. Die haben Elektrobusse im Einsatz und sich gefragt, was man mit den Batterien, diesen sehr teuren Verschleißteilen, macht, wenn sie so weit degradiert sind, dass sie auch die kürzesten Linien nicht mehr bedienen können. Und sie wegzuwerfen ist, wegen der Materialknappheit und wegen des Restwerts, den diese Dinge haben, keine gute Idee. Daher kam man auf die Idee, die Gebrauchtbatterien in die Trafostationen zu stecken, die die Straßenbahn und die Ladesäulen für die E-Busse versorgen. Denn Straßenbahnen und E-Busse brauchen eine Menge Strom mit vielen Lastspitzen. Das Abbremsen und Beschleunigen der Bahn und das Laden eines E-Buses stellt eine sehr ungleichmäßige Belastung des Netzes dar, die kostspielig ist. Denn die Lastspitzen kosten Extra-Gebühren. Wenn man nun die Gebrauchtbatterien für den Zweitgebrauch in die Trafostationen einbaut, die den Strom sowohl an die Straßenbahn als auch an den E-Bus liefern, ist das eine gute Möglichkeit, die Batterien zu sehr sinnvoll weiter zu nutzen. Man spart die Gebühren für die Lastspitzen, indem man die Energie in den Trafostationen puffert, die über die ganze Stadt verteilt sind. Ein sehr konkretes Beispiel also, das mir sehr gut gefällt.

Was steht der größeren Verbreitung solcher Zweitnutzung im Wege?

Das Problem ist, dass es Vertrauen voraussetzt, etwas Gebrauchtes zu kaufen. Ich werde Ihnen nur einen guten Preis für etwas zahlen, das Sie schon benutzt haben, wenn ich darauf vertrauen kann, dass es pfleglich behandelt wurde und dass es für die geplante Nutzungsdauer, die ich als Käufer erwarte, halten wird. Und das ist eines der Kernprobleme, warum die Nutzung von Altbatterien noch nicht sehr verbreitet ist. Hier auf der ees gibt es ein paar schöne Anwendungen, aber der Markt explodiert nicht gerade. Und wir denken und sehen, dass dieser Vertrauensaspekt, eines der Haupthindernisse ist, warum die Zweitnutzung von Batterien noch nicht so verbreitet ist.

Wie ließe sich das denn ändern?

Es ist ein bisschen so, wie ins Fitnessstudio zu gehen. Man muss sich erst anstrengen, die Ergebnisse und die Belohnung kommen dann später. Das ist etwas, das für viele Anwender sehr schwer zu verstehen ist, insbesondere bei einer Batterie, die als wartungsfrei gilt. Dadurch gibt es bei Batterien ein moralisches Risiko – wie Versicherungen das nennen. Wenn Sie also ein teures Produkt haben, das sich abnutzt wie eine Batterie und dieses Produkt dann verkaufen wollen, dann vermutet der Käufer immer ein moralisches Risiko. Denn keiner weiß, ob Sie das Ding nicht falsch behandelt haben.

Daher erzielen Gebrauchtbatterien keine besonders hohen Preise. Bisher war es leider schwer zu vermitteln, dass es für eine Batterie von Anfang an ein Mindestmaß an Überwachung geben sollte. Aber das ändert sich gerade.

Inwiefern?

Allein die Tatsache, dass ein Vermögenswert wie die Batterie überwacht wird, führt psychologisch gesehen zu einer besseren Nutzung. Das ist eine interessante Sache.

Was genau ist denn eine bessere oder schonendere Nutzung?

Es gibt drei Haupteinflussfaktoren für die Degradationsrate, also die Alterung der Batterie: die Temperatur, der Strom oder die Leistung und das Zeitfenster, in dem man die Batterie mit welchem Ladezustand betreibt. Und um die Sache noch etwas komplizierter zu machen, sind die Auswirkungen dieser Faktoren je nach Betrieb oder Zyklus unterschiedlich. Wir nennen das zyklische Alterung, oder, bei Nichtgebrauch, Kalenderalterung. Ich gebe hier nur ungefähre Zahlen für die Lithium-Ionen-Technologie an, bei denen es auch noch viele Unterarten gibt. Allgemein könnte man sagen, dass die Lagerung bei sehr niedrigen Temperaturen sehr gut für die Batterie ist. Die chemischen Reaktionen, die im Stillstand oder im Leerlauf oder bei Nichtbenutzung ablaufen, werden verlangsamt. Aber wenn man eine Batterie bei sehr niedrigen Temperaturen betreibt, ist das in der Regel sehr schlecht, weil es zu internen Defekten führen kann. Und auch die Lagerung mit einem Ladezustand von 100 Prozent ist eines der schlimmsten Dinge, die man tun kann.

Also wie sollte man sein Auto laden, wenn man es parken will?

Vor dem Parken sollte man nur auf einen Ladezustand zwischen 50 bis 80 Prozent laden. Und erst dann vollladen, wenn man das Fahrzeug braucht. Eine typische Autobatterie hat eine bis zu zehnmal höhere Lebensdauer, wenn man sie bei 50 Prozent Ladezustand parkt und nicht bei 100 Prozent.

Das ist gewaltig.

Ja, das ist gewaltig. Aber auch die Ladegeschwindigkeit spielt eine große Rolle. Und natürlich die Temperatur. Wenn wir über stationäre Systeme sprechen, hilft es schon Bäume zu pflanzen und die Anlagen zu beschatten. Das senkt die Belastungen für die Batterien schon ein bisschen.

Welche Daten liefert ihr Überwachungs- und Analysesystem und welche Erkenntnisse ziehen Sie daraus?

Wir brauchen Spannung, Temperatur und Strom. Die müssen dann in Restkapazität übersetzt werden. Auch bekannt als SOH, State of Health, Restkapazität oder verbleibender nutzbarer Lebensdauer. Batterien werden zwar als wartungsfrei bezeichnet, aber trotzdem kann etwas schief gehen. Denn im Inneren von E-Autobatterien befinden sich Tausende von Zellen, und die müssen gleichmäßig arbeiten. Und wenn eine ausfällt, kann das ganze System aus dem Gleichgewicht geraten. Das ist etwas, das wir auch analysieren, um nach Anomalien zu suchen, die natürlich auch sicherheitskritisch sein können.

Was kann man tun, wenn Sie solche Anomalien feststellen?

Unsere Plattform sendet dann natürlich Warnmeldungen aus und kann auch mit den vorhandenen Energiemanagementsystemen verbunden werden, die dann die Batterie aktiv steuern. Sie haben natürlich mehrere Maßnahmen zu ergreifen, wenn Sie sehen oder wenn es erste Anzeichen dafür gibt, dass eine Zelle ausfällt. Sie sollten den String abschalten und dann den String oder das Modul der Batterie ersetzen. Das ist leicht zu bewerkstelligen. Wenn Sie an eine mobile Anwendung denken, gibt es natürlich etwas, über das wir noch nicht gesprochen haben, nämlich das Balancing. Alle Zellen müssen den gleichen Ladezustand haben. Wir sprechen zwar von dem Ladezustand einer Batterie. Das stimmt aber eigentlich nicht, denn wenn es Tausende von Batteriezellen gibt, gibt es auch Tausende von Ladezuständen. Wenn allerdings eine Zelle fast leer ist, bestimmt sie die Leistung des gesamten Systems. Wenn sie also aus dem Takt kommen, können Sie das Batteriemanagementsystem, das System wieder ausbalancieren lassen. Dafür sollte das Auto allerdings abgeschaltet sein. Tesla etwa empfiehlt seinen Kunden das Auto nach dem vollen Aufladen der Batterie für vier Stunden nicht zu benutzen.

Mit Ihrer Analysetechnologie können Sie Batterien überwachen und erkennen, wenn etwas nicht stimmt, also bspw. einzelne Zellen beschädigt sind. Könnte es nicht sein, dass die OEMs kein Interesse daran haben, solche Informationen ihren Kunden zukommen zu lassen?

Die Autohersteller wollen ihr teuerstes Verschleißteil, die Batterie, schützen. Die Batteriezelle ist übrigens eine asiatische Technologie, die wir noch nicht ganz verstanden haben. In Europa werden daher keine Batteriezellen von europäischen Unternehmen hergestellt. Transparenz ist daher nicht sehr verbreitet, aber es gibt sie schon. Wenn Sie hier in der Ausstellung der ees herumlaufen, verlangen die Betreiber, die Eigentümer, die Banken und die Versicherungsgesellschaften Transparenz. Gerade bei Batterien besteht eine ausgeprägte Informationsasymmetrie zwischen dem Verkäufer und dem Käufer. Und das ist etwas, das den Markt verzerrt. Das ist inakzeptabel. Und das wird sich ändern. Die Transparenz wird kommen. Kein Zweifel.

Sie arbeiten mit dem Zulieferer Mahle zusammen und haben eine Methode entwickelt, Batterieparameter über den Ladeanschluss auszulesen. Kann damit bald jede Werkstatt Batterien von E-Autos auslesen?

Im Moment gibt es keinen standardisierten Stecker, um Informationen über die Batterie auszulesen. Also hatten wir die Idee, den Ladestecker dafür zu nutzen. Denn das ist die einzige standardisierte Schnittstelle zwischen Auto und Außenwelt. Ich würde nicht sagen, dass wir damit in jedes einzelne Detail gehen können, etwa sagen können welche Zelle kaputt ist oder nicht. Aber man kann dennoch etwas über die Qualität der Batterie insgesamt sagen, insbesondere im Vergleich zu anderen Batterien. Und das ist ein erster Schritt zu mehr Transparenz. Und das wird von den Märkten stark nachgefragt.

Was kann eine Überwachung von Batterien oder ein einmaliges Auslesen unter finanziellen Gesichtspunkten bringen?

Wir unterscheiden zwischen gewerblich genutzten Anlagen, die kontinuierlich überwacht werden und der Ad-hoc- oder ereignisbasierten Bewertung wie die von Mahle über den Ladestecker. Wenn man sich also eine kommerzielle Anlage ansieht, etwa ein stationäres Batteriesystem oder einen Elektro-Bus, dann sagen wir in der Regel, dass man die Gesamtbetriebskosten einer solchen Anlage um 10 bis 30 Prozent senken kann. Das würde bedeuten, dass sich die Lebensdauer um 20 Prozent verlängert, die Betriebskosten gesenkt werden, z. B. durch geringere Versicherungskosten und weniger ungeplante Wartungsarbeiten, und auch der Restwert steigt. Dies sind die drei wichtigsten Punkte: Betriebskosten, verbleibende Nutzungsdauer und Restwert. Wenn man an diesen drei Werten herumschraubt, indem man die Batterie schonender lädt, sie besser behandelt und ein Protokoll des Batteriezustands zur Verfügung stellt und dadurch den Restwert erhöht, kann man 30 Prozent mehr aus ein- und derselben Batterie herausholen. Das senkt die Gesamtbetriebskosten um 30 Prozent und macht sogar Geschäftsmodelle möglich, die vorher nicht realisierbar waren. Und wenn wir jetzt an das Auto denken, sehen wir deutlich, dass ein Qualitätszertifikat für die Batterie den Wiederverkaufswert um mindestens einige hundert Euro erhöhen kann.

Wenn ich also mein Auto verkaufen wollte, dann könnte ich einem potentiellen Käufer sagen: Ich habe ein unabhängiges Zertifikat über den Zustand der Batterie, und deshalb kostet es 500 Euro mehr.

Ganz genau. Und genau das tun wir mit Mahle und dem TÜV zusammen mit einem Pilotkunden, einem gewerblichen Flottenbetreiber. Sie haben eine Menge verschiedene Elektrofahrzeuge. Die werden in der Regel 6 bis 36 Monate lang genutzt. Danach verkaufen sie sie auf dem freien Markt weiter. Und im Moment werden sie konkret gefragt, wie gut ist die Batterie noch? Und sie sagen, ich habe keine Ahnung. Und das gibt natürlich am Ende nicht den besten Preis.

Mit einer kontinuierlichen Überwachung der Batterie könnte sich auch zeigen, dass manche Serviceanbieter von Ladepunkten nicht unbedingt den besten Job für die Batterie machen.

Wahrscheinlich ja. Denn leider ist die Komplexität von Batterien nichts, was allgemein bekannt ist. Daher gebe ich den Ladeanbietern auch keine direkte Schuld daran. Sowohl Pkw als auch Nutzfahrzeuge werden in der Regel nicht auf die batterieschonendste Weise geladen. Und das wird in Zukunft durchaus ein Unterscheidungsmerkmal sein.

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